Freitag, 13. November 2009

Wim Crusio: Der einzige Grund, warum ich 5 Varietäten der A. barteri auszusondern versuchte, war rein pragmatisch (ein "Amazonas"-Interview). Teil 2.

“Amazonas”: Vor kurzem besprachen wir ein morphologisches Merkmal, das in Ihrer Revision nicht enthalten ist. Damit ist auch meine nächste Frage verbunden. Eines der kennzeichnenden Merkmale z.B. der Pflanzen der Gattung Lagenandra ist die involute Knospenlage (Vernation), bei der die austreibenden Blätter von beiden Blatträndern her eingerollt sind. Alle Anubias haben eine konvolute Vernation, das heißt, ihre Blätter sind nur von einem Blattrand her eingerollt. Aber die Richtung dieser Einrollung ist bei verschiedenen Anubias-Arten differentiell (rechts- oder linksläufig). Was bedingt diese Richtung? Ist dieses Merkmal stabil innerhalb einer Art?


Wim Crusio: Also ich muss es zugestehen, ich habe nie der Vernation der Anubias Aufmerksamkeit geschenkt! Und ich weiß nicht, ob dieses Merkmal innerhalb der Arten stabil bleibt. Im großen und ganzen sind sehr wenige Pflanzenarten (und noch weniger Tierarten) lateralisiert, deswegen würde das mich nicht wundern, wenn dieses Merkmal für jeden Klon mehr oder weniger zufällig wäre. In der Kultur scheinen die Arten mehr variabel als in der Natur zu sein, denn oft haben wir verschiedene Pflanzen, die wahrscheinlich von einer begrenzten Zahl der Klone stammen.

“Amazonas”: Welchen Platz nimmt Ihrer Meinung nach die Pflanze unter der Handelsbezeichnung Anubias “coffeefolia” in der Systematik der Anubias ein? Ist sie eine neue Art oder eine künstlich geschaffene Hybride?

Wim Crusio: Ich habe nie eine lebendige A. “coffeefolia” gesehen, nur auf Bildern. Ich glaube, dass es um eine der vielen Varietäten von A. barteri geht. Ich habe mir mehrere Sammlungen wilder Pflanzen dieser Art angeschaut und kann sagen, dass sie extrem polymorph ist.

“Amazonas”: Unter allen Anubias-Arten kann nur Anubias barteri var. nana völlig submers gehalten werden. Dieses Merkmal ist auch für alle interspezifischen Hybriden der Anubias typisch. In diesem Zusammenhang wird’s vermutet, dass ein spezielles Gen für dieses Merkmal (lange Zeite submers zu leben) verantwortlich ist. Was meinen Sie dazu?

Wim Crusio: Als Genetiker zweifle ich daran, dass nur ein einziges Gen für eine so komplexe Eigenschaft wie Fähigkeit zur submersen Lebensweise verantwortlich ist. So viel ich weiß, hat man A. heterophylla mit grösserem Erfolg submers gehalten als andere (oder sogar alle) Varietäten von A. barteri.

“Amazonas”: Zu welcher Art gehört Ihrer Meinung nach diese Anubias (auf dem Bild ist eine zweijährige Pflanze). Was könnte der Grund dafür sein, dass die Stengel so ungewöhnlich (rötlich-braun oder rot) gefärbt sind?






Wim Crusio: Das sieht etweder nach A. barteri var. angustifolia oder nach einer sehr schmalblättrigen Form von A. afzelii aus. Nun brauchen Sie die Größe der Infloreszenz mit den in meiner Revision erwähnten Größen zu vergleichen, doch die Pflanze gehört bestimmt zu A. barteri var. angustifolia.

“Amazonas”: Anubias-Liebhaber haben bemerkt, dass die Spatha von A. barteri – Subspezies ganz am Ende ein bisschen nach unten gekrummt ist oder die Form einer Spiral hat. Laut Ihrer Revision haben Sie mehrere Anubias-Arten kultiviert: Sind diese Unterschieden zwischen den Arten Ihnen aufgefallen? Wovon kann das abhängen: von den Haltungsbedingungen oder von der Physiologie einer einzelnen Pflanze?

Foto A: Аnubias barteri var. caladiifolia mit dem leicht gesunkenen Ende der Spatha am ersten Tag der Blüte.
Foto B: Anubias barteri var. nana auch am ersten Tag der Blüte, aber man sieht, dass die Spatha nicht völlig gesunken ist.






Wim Crusio: Um zu erfahren, was diese Differenzen verursacht, müsste man die Pflanzen unter unterschiedlichen Bedingungen kultivieren und vielleicht auch sie miteinander kreuzen.

“Amazonas”: Einige von uns, Anubias-Freunden aus Russland, Moldowa und der Ukraine, halten Anubias sp. ‘Gabon’. Kennen Sie diese Pflanze (siehe Fotos)?






Wim Crusio: Das ist eine Form von A. barteri. Wahrscheinlich A. barteri var. barteri.

“Amazonas”: Die Taxonomie ist eine relative Wissenschaft. So viel ich weiß, versuchen moderne Systematiker die Verwendung solcher Bezeichnungen wie "Varietät" und "Subspezies" zu vermeiden und beschränken sich auf Arten. Wie stellen Sie sich dazu unter Berücksichtigung des Falls Anubias barteri ein?


Wim Crusio: Ich bin damit absolut einverstanden. Wie ich in meiner Revision schreibe, sind die Grenzen, die ich zwischen den Varietäten zog, eher bedingt. Ein anderer Systematiker hätte das vielleicht anders gemacht und mehr (oder weniger) Varietäten ausgesondert. All das erinnert mich ein wenig daran, wie wir zwischen klein- und hochgewachsenen Menschen unterscheiden: Es gibt unter Menschen mit normalem Körperbau auch Extreme (Zwerge und Riesen), aber innerhalb einer gegebenen Population kann man das ganze Spektrum von klein bis hoch finden.

“Amazonas”: Alle Pistille von Anubias gracilis, die wir bisher gesehen haben, waren rötlich-rosa. Kann die Farbe auch ein Schlüssel zur Indentifikation der Arten sein?



Wim Crusio: Wahrscheinlich. Aber A. gracilis scheint sehr rar zu sein und es ist durchaus möglich, dass alle Pflanzen in Kultur nur von ein und demselben Klon stammen. Ich habe rötlich-rosa Pistille auch bei A. hastifolia gesehen, also von diesem Standpunkt aus wäre es für mich sehr schwer, zwischen barteri und gracilis zu unterscheiden ...


“Amazonas”: Welche Frage war für Sie besonders interessant oder kompliziert?

Wim Crusio: Die komplizierteste war für mich die Frage, ob ich noch Aquarien halte, denn das rief ein nostalgisches Gefühl hervor und ich möchte wirklich mehr Freizeit haben, um mich diesem wunderbaren Hobby wieder zu widmen!

“Amazonas”: Herr Crusio, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Interview: Alexander Grigorov.


Fotos: Sergey Gerasimov, Dmitry Loginov and Konstantin Ilyin.

© Alexander Grigorov

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