Donnerstag, 5. November 2009

Wim Crusio: "Der einzige Grund, warum ich 5 Varietäten der A. barteri auszusondern versuchte, war rein pragmatisch" (Ein "Amazonas"-Interview). Teil 1.

Anfang dieses Jahres organisierte die russische Version der deutschen Aquarium-Zeitschrift “Amazonas” ein Interview mit Herrn Prof. Wim Crusio, dem Autor der Anubias-Revision. Wir danken der russischen “Amazonas”-Redaktion für die Möglichkeit, dieses Interview in unserem Forum zu veröffentlichen.


“Amazonas”: Nachdem ich Ihre Revision gelesen habe, bekam ich den Eindruck, dass in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Botaniker an diesen Pflanzen sehr interessiert waren. Mit anderen Worten sammelte man Pflanzen, beschrieb sie, revisionierte alte Beschreibungen. Was passiert heutzutage in diesem Bereich? Ist die klassische Botanik nicht mehr “in”? Sind neue Anubias-Arten seit der Veröffentlichung Ihrer Revision in der Fachliteratur beschrieben worden?

Wim Crusio: Nein, neue Arten von Anubias hat seit jener Zeit keiner beschrieben. Ich bin mir nicht sicher, dass die klassische Botanik heute aus der Mode kommt. Ich glaube, hier sind mehrere Faktoren im Spiel. Heute stehen uns viel mehr Sammlungen zur Verfügung (und man hat zu ihnen einen leichteren Zugang), als den Botanikern Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts. Wenn wir eine Sammlung bekommen, so stellt es sich oft heraus, dass viele Pflanzen darin bereits ihren wissenschaftlichen Namen haben. Und vor 100 Jahren konnte man in derselben Sammlung noch unbeschriebene Arten finden, zur Zeit ist es nicht der Fall. Dazu haben moderne Systematiker ein viel breiteres Konzept der Art ("Lumper"), als die Botaniker vor hundert Jahren ("Splitter").

“Amazonas”: Aus Ihrer Revision geht hervor, dass die Blattform der Anubias keine große taxonomische Bedeutung bei der Identifikation der Arten hat, nur der Sitz und Struktur der Theken an dem Synandrium spielen eine große Rolle. Und troztdem haben Sie auf Grund der verschiedenen Blattformen 5 Varietäten der Anubias barteri ausgesondert. Aus welchem Grund haben Sie den Arten A. auriculata und A. haullevilleana (beschrieben von Engler und Wildeman) den Status der A. hastifolia-Varietäten nicht verliehen?

Wim Crusio: Das ist eine gute Frage! Der einzige Grund, warum ich 5 Varietäten der A. barteri und nicht der A. hastifolia (oder z.B. einer anderen Art) auszusondern versuchte, war rein pragmatisch. Viele verschiedene Klone der A. barteri-Formen werden von Aquarianern kultiviert und ich begriff, dass es für diese Menschen sehr unbequem wäre, falls ich all diesen Pflanzen ein und denselben Namen, "A. barteri",gegeben hätte. Mit anderen Worten hatte ich ein Bedürfnis, innerhalb der Anubias barteri mehr Typen zu unterscheiden. Und da andere Arten viel seltener gehalten werden, spürte ich keine Notwendigkeit, ihre Varietäten zu identifizieren.

“Amazonas”: Seit langer Zeit werden Anubias in der Aquariumistik gebraucht und das machte sie sehr populär. Was bewegte Sie dann zur Untersuchung gerade dieser Pflanzen am Anfang Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn? Haben Sie zur Zeit oder hatten Sie einmal ein Aquarium oder ein Paludarium zu Hause?

Wim Crusio: Mein erstes Aquarium bekam ich mit 12 oder 13 Jahren und später began ich kleine Beiträge über Fische und Pflanzen für unseren lokalen Aquariumverein zu schreiben. Ja, es ist wahr, mein erster Beitrag war Anubias-Pflanzen gewidmet! Aber damals habe ich sie nicht richtig erkannt und auf Grund der Zeichnungen im Buch von de Wit als Lagenandra lancifolia bezeichnet. Dank meinem Hobby beschloss ich Biologie an der Universität Nijmegen zu studieren. Um Magister zu werden, hatte ich drei Forschungsprojekte durchzuführen: zwei 6-monatige und ein 12-monatiges. Ich war an der biologischen Systematik interessiert und fragte Herrn Prof. de Wit aus Wageningen, ob ich eines meiner 6-monatigen Projekte bei ihm erledigen kann. Ursprünglich schlug er mir vor, die Gattung Cabomba zu erforschern, aber die Mitarbeiter seines Laboratoriums waren dagegen (denn offiziell spezialisierte sich das Labor auf afrikanische Pflanzen). De Wit schlug dann Mayaca vor, aber eine neue Revision dieser Gattung war bereits vor einigen Monaten erschienen. Dann rief er Herrn Josef Bogner aus München an und dieser wählte Anubias. Das war eine grössere Art, als de Wit wollte (nicht vergessen, dass das Projekt nur ein halbes Jahr dauern musste), trotzdem fingen wir die Arbeit an. In 7 Monaten war meine Revision fertig. Danach schaltete ich mich auf die Forschung des genetisch bedingten Verhaltens von Mäusen um und verteidigte meinen Doktortitel. Zwar hatte ich seit jener Zeit kein Aquarium zu Hause, hielt jedoch Arten von Anubias, Cryptocoryne und Lagenandra in dem Treibhaus des Botanischen Gartens Nijmegen. Ich machte einige experimentale interspezifische Kreuzungen, hatte leider keine Möglichkeit, diese Arbeit fortzusetzten (ihre Ergebnisse enthält die deutsche Übersetzung meiner Anubias-Revision). Nach meiner Promotion verließ ich die Niederlande und arbeitete zunächst in Heidelberg, dann in Paris. Von dort aus hatte ich natürlich keinen Zugang zu dem Treibhaus, meine Mäuse-Forschungen nahmen mich voll in Anspruch. Also seit der Mitte der 1980er beschäftige ich mich mit Aquarien oder Aquariumpflanzen nicht so aktiv. Aber wenn ich mich in den Ruhestand begehe, fange ich bestimmt wieder an, Aquarien (und Wasserpflanzen!) zu halten..

“Amazonas”: Es ist bekannt, dass sich die Anubias-Arten sehr leicht miteinander kreuzen. Es wurden viele Hybriden von diesen Pflanzen künstlich geschaffen. Gewiss können wir diese Prozesse auch in der Natur beobachten. In Hinsicht auf den relativen Charakter des Begriffs “Art” in der Biologie sowie die Revison, die die Arten nur auf Grund ihrer Verwandschaft ordnet, ist es trotzdem interessant zu wissen, wie Ihre Revision die Existenz möglicher Naturkreuzungen der Anubias berücksichtigt. Sollte man Ihrer Meinung nach auch genetische Merkmale in modernen Revisionen in Betracht nehmen (so war es auch der Fall in der Echinodorus-Revision von Lehtonen)?

Wim Crusio: 1977 (als ich an meiner Anubias-Revision arbeitete) verfügten wir über solche Forschungsmethoden nicht. Es wäre natürlich interessant, mir diese Hybriden anzuschauen! Ob es viele Naturkreuzungen gibt, weiss ich nicht. Und vergessen Sie nicht, dass sich die Verbreitungsgebiete mancher Arten (zum Beispiel A. afzelii) nicht überlappen.

”Amazonas”: Können Sie uns Internetseiten empfehlen, die mehr oder wenig volle Informationen über Anubias enthalten?

Wim Crusio: Tatsächlich kenne ich keine empfehlenswerten Seiten…

“Amazonas”: Sind Ihnen Liebhaber bekannt, die eine möglichst komplette Sammlung von Anubias besitzen? Wenn ja, dann wie könnte man mit ihnen Kontakte anknüpfen, um unsere Erfahrungen auszutauschen?

Wim Crusio: Ich muss es gestehen, ich habe seit langem keine Kontakte mit denen, die sich für Wasserpflanzen interessieren. Ich kann nur vermuten, dass Josef Bogner aus München noch eine gute Sammlung hat oder auch andere Sammler kennt.

“Amazonas”: In diesem Zusammenhang möchte ich fragen, ob Sie eine Anubias hastifolia Engl. in Ihrer Sammlung hatten oder haben? Wenn ja, dann würde ich Sie bitten, uns die Blätter und – wenn möglich – den Blutenstand zu zeigen.

Wim Crusio: Ja, ich hatte diese Art (momentan nicht). Ich besitze Dias, habe aber keinen Scanner dafür. Wenn ich mich nicht irre, gab es Bilder dieser Art in der deutschsprachigen Version meiner Revision.

“Amazonas”: Können Sie, bitte, die Situation um Anubias pynaertii erläutern? Bei der Arbeit an Ihrer Revision hatten Sie mit mehreren Belegen zu tun, aber damals wuchsen die Pflanzen nur in Ihrem Labor in Wageningen. Zur Zeit bleibt A. pynaetrii eine große Seltenheit. Zum Bespiel in Russland wird sie überhaupt nicht kultiviert. Unter der Bezeichnung “A. pynaertii” kann man eine Pflanze mit der folgenden Blattform kaufen (siehe das Bild unten). Was ist Ihres Erachtens der Grund dafür, dass diese Art so rar ist?




Wim Crusio: Ich bin mir nicht sicher, dass das Blatt auf dem Bild zu A. pynaertii gehört, aber es ist durchaus möglich. Für eine sichere Indentifizierung bräuchte ich die Infloreszenz von dieser Pflanze. Ich weiss auch nicht, warum sie so selten ist, denn ihre Kultivierung nicht komplizierter als die der anderen Arten.

Fortsetzung folgt

Interview: Alexander Grigorov

Foto: Dmitrij Loginow

© Alexander Grigorov

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